Ja zu Russland, Nein zu Russland

Jasmin James
2 min readApr 15, 2024
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In der Quantenphysik gibt es eine Theorie, die als Superposition bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um die Idee, dass etwas in zwei Zuständen gleichzeitig existieren kann. Schrödingers Katze ist das geläufigste Gedankenexperiment dazu. Also, eine Katze, eine Kiste, eine Mord-Apparatur, eine Flasche mit Gift. Die Apparatur wird von einem radioaktiven Atom gesteuert; beim Zerfall des Teilchens wird ein Hammer betätigt, der die Flasche zertrümmert und dadurch die Katze tötet. Die Tatsache, dass Atome zerfallen, ist nachweisbar, der exakte Zeitpunkt ist jedoch nicht feststellbar. Und so erscheint die Katze sowohl tot als auch lebendig.

Ein Interpretationsspielraum, der offensichtlich auch der FPÖ zusagt. Udo Landbauer: „Wir Freiheitlichen haben keine Nähe zu Russland, aber wir sind die Einzigen, die für Frieden eintreten“. Konkret relativiert der niederösterreichische FPÖ-Vizechef in einem Interview mit der Presse am Sonntag den 2016 mit der Putin-Partei „Einiges Russland“ geschlossenen Freundschaftsvertrag. Auch Udo Landbauer: „Ohne diese Politik hätten wir jetzt nicht diesen Zuspruch“. Interessanterweise dementiert Landbauer hier nicht, dass eine parteiinterne Einflussnahme durch Russland existiert hat (oder existiert? Einen Beweis für die Kündigung der „Vereinbarung über Zusammenwirkung und Kooperation“ gibt es noch nicht.) Die Beziehung zu Russland, die bei einem Wahlsieg den Freiheitlichen die Regierungsbildung kosten könnte, wenn sich kein Koalitionspartner finden lässt, der bereit ist, darüber hinwegzusehen, nimmt Landbauer dabei in Kauf. Fazit? Die FPÖ ist Russland nicht nahe, aber gleichzeitig doch.

Wenn man penibel ist, fällt einem noch etwas auf. Etwa der Nebensatz „[…] aber wir sind die Einzigen, die für Frieden eintreten“. Friede bedeutet, laut FPÖ-Chef Herbert Kickl, den ukrainischen Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft. Infolgedessen würde Russland von sich aus auf die vor dem Überfall eingenommene Stellung zurückfallen. Dann ist Friede gleich Kapitulation, wenn der Westen Russland für seinen illegitimen Ost-Expansionskurs nicht zur Rechenschaft zieht und das Zeichen setzt, dass einzelne Staaten als Aggressoren in Zukunft problemlos internationales Recht unterwandern können. Für eine Partei, die auf ihrer eigenen Website unter dem Punkt „Heimat, Identität und Umwelt“ sich zum „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ bekennt und die angebliche Übermachtstellung Brüssel als Gefahr für die österreichische Souveränität ortet, erscheint diese Form der Argumentation heuchlerisch.

Es gibt viele weitere Beispiele, wo man ins Zweifeln kommt, was den Zustand der Realität anbelangt. So etwa, wenn Kickl Gulags mit Guantánamo Bay gleichsetzt oder die Ermordung von Alexey Nawalny mit dem US-Verfahren gegen Julian Assange vergleicht. Oder wenn ehemaliger FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache Kickl als zu radikal bezeichnet, um ihn dann für sein „Alleinstellungsmerkmal“ im Gespräch mit Profil zu loben.Der Einzelkämpfer und Grenzgänger ist ein Märtyrer. Der „FPÖ-Sektenführer“ ist auch biblischer Lichtbringer „im tiefschwarzen Innenministerium“. Er kann Volkskanzler. Und kann gleich Volksverräter. Die eine Identität für das Volk, die andere für die russophile Elite.

Rechtspopulistische Quantentheorie-ganz im Sinne von Schein und Sein.

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